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ge|halt|voll: Karin, du hast jetzt Ein Grundsatz, der in der Supervi- Macht es in den letzten Lebensmo-
seit 17 Jahren in der Begleitung sion immer wieder betont wird, ist, menten einen Unterschied, ob je-
von Schwerkranken Erfahrung, dass wir diese Frage loslassen sollen, mand in sein Sterben eingewilligt
davon 11 Jahre auf einer Pallia- bzw. nicht davon ausgehen, dass hat oder nicht?
tivstation, dann in der ambulan- der Patient sein Sterben annehmen
ten Palliativ-Versorgung. Du hast sollte. Der Ausgangspunkt ist eher, Das kann man nicht so klar er-
schon viele Menschen im Sterbe- dass es keiner akzeptieren kann zu kennen. Das eigentliche Sterbege-
prozess begleitet. Was sind deine sterben. schehen ist oft recht kurz und die
Erfahrungen mit dem Ja zum ei- Dagegen höre ich bei meiner Mut- meisten stehen unter notwendiger,
genen Sterben? ter zum Beispiel (sie ist jetzt 85 Jahre entsprechend starker Medikation.
alt, leidet an mehreren Krankheiten, Wer aber sagt, „da ist nichts mehr zu
Karin Heck: Die wenigsten kön- hat viele Krankenhausaufenthalte machen, ich sehe keinen Sinn mehr
nen Ja sagen, dass sie sterben. Je hinter sich, erlebt sich einsam und darin, weiter zu kämpfen“, stirbt
mehr sie sich aber mit ihrer Situa- sieht ihre Gegenwart und Zukunft tendenziell schon leichter und die
tion auseinandergesetzt und sich nur als Qual an) immer wieder die Angehörigen können in der Regel
schon vorher mit dem Sterben be- Sätze „Wenn ich nur sterben könn- auch leichter mitgehen.
schäftigt haben, umso leichter willi- te, lieber gestern als heute“. Das ist
gen sie dann doch ein. Dagegen fällt ernst gemeint, aber bei jüngeren Eine letzte Frage: Wie unterstützt
es Menschen, die diesem Thema Menschen, die unheilbar krank ihr Menschen, dieses Ja zum Ster-
auch in „gesunden“ Jahren ausgewi- sind, eher die Ausnahme. ben zu finden?
chen sind und auch grundsätzlich Wir müssen auch bedenken, dass
dazu neigen, Probleme von sich zu Sterben selten alleine geschieht. Ein Grundsätzlich wollen wir offen und
weisen, sehr schwer. Mann, 1937 geboren, kommt nach ehrlich kommunizieren und wir
Hause aus langem Klinikaufenthalt, geben klare Antworten auf Fragen,
„Einwilligen ins Sterben", ist das hat sich schlecht aufgeklärt erlebt haben aber sehr viel Wertschätzung,
nicht ein Ziel, das du mit deiner über den negativen Krankheits- wenn sich Menschen den Tatsachen
Arbeit unterstützen sollst? verlauf mit aussichtsloser Prognose nicht stellen können oder wollen
und dass man therapeutisch nichts und gehen auf die individuelle Situ-
mehr machen kann. Von einigen ation des Patienten oder seiner Fa-
vorbehandelnden Ärzten wurde milie ein. Wir vermeiden auch be-
ihm noch Hoffnung vermittelt. stimmte Begriffe, wie "Krebs" oder
Zu Hause war er sehr erschöpft, er- "unheilbar", wenn das ausdrücklich
brach häufig und es wurde deutlich, gewünscht wird.
dass der Gesamtzustand sich sehr Als hilfreich habe ich bei Fragen
stark verschlechtert hatte. Er wollte des Patienten an uns in Bezug auf
keine therapeutische Intervention die Prognose diese Rückfrage erlebt:
mehr, wollte nur noch seine Ruhe „Was spüren Sie selbst innerlich?
haben und spürte sehr genau, dass Was sagen Ihre Gefühle, wie es um
es zum Sterben geht. Doch seine Sie steht?“ Viele Patienten haben
Tochter kämpfte für ihn, wollte dann ganz spontan gesagt, „Ich spü-
noch künstliche Ernährung einfor- re, dass es zum Sterben geht“.
dern und dachte an weitere Thera-
pien. So zog sich der Prozess zuhau- Und das Ja zum ewigen Leben?
se insgesamt 4 Tage hin, bis es zu
einer gemeinsamen Einsicht
kam und eine gute Gelas-
senheit einkehrte.
ge|halt|voll im Interview mit Karin Heck , Palliativfachkraft
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